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Dmitri Schostakowitsch

Klavierquintett g-moll op. 57 (1940)
I.Praeludium (Lento) - II. Fuga (Adagio) - III.Scherzo (Allegretto) -IV.Intermezzo (Lento) - V.Finale (Allegretto) 


Schostakowitsch schrieb sein Klavierquintett auf Wunsch des befreundeten Beethoven-Quartetts, welches nach dem Erfolg seines ersten Streichquartettes (1938) ein Stück wünschte, das man mit ihm selber am Klavier spielen konnte. Die Uraufführung des Klavierquintetts im kleinen Saal Moskauer Konservatorium am 14.9.1940 geriet zum triumphalen Erfolg. Scherzo und Finale mussten wiederholt werden, was sich bei späteren Aufführungen derart einbürgerte, dass man in Russland sagte, es sei "ein Werk in fünf Sätzen, von denen es sieben gibt". 

 

Das Werk verwendet barocke Formen: Der erste und zweite Satz sind Praeludium und Fuge. Dem Mittelsatz, einem grotesken Scherzo, folgen als vierter und fünfter Satz Intermezzo und Finale. Das Intermezzo lässt mit endloser  Melodie über schreitendem Pizzicatobass Händel anklingen. Das Werk fand auch bei Fachleuten fast allgemeine Zustimmung. Nur Prokofjev bemängelte den "Mangel an grossen Höhenflügen", meinte "dass ihn die Zitate Bachscher und Vorbachischer Elemente im Praeludium betrübe" und die lange Melodie über dem Pizzicatobass bezeichnete er als "Händelschen Trick". Tatsächlich überrascht es, dass Schostakowitsch in diesem Werk sich so konsequent alter Formen bedient.

 

Hier mag interessieren, dass Schostakowitsch wegen Avantgardismus ab 1936 grosse Schwierigkeiten hatte. Die 1932 beendete Oper "Lady Macbeth von Mzsensk" wurde 1934 in Leningrad uraufgeführt und hatte grossen Erfolg in In- und Ausland. Am 26. Januar 1936 besuchte Stalin persönlich mit den Bonzen Schdanov und Mikojan eine Aufführung in Moskau, verliess diese aber nach der Pause. Stalin sagte dem Kritiker der Iswjestija "Das ist Blödsinn, keine Musik". Schon am 28. Januar erschien in der Prawda der berüchtigte anonyme Artikel "Chaos statt Musik" mit einem brutalen Verriss. In der damaligen Presse erschienen immer wieder solche Artikel, die Gelehrte, Ingenieure oder Dichter in den Schmutz zogen. Sie kündigten stets Verfolgung, Verhaftung, oder sogar Verbannung mit Todesurteil an. Die Kampagne gegen Schostakowitsch ging weiter mit Artikeln und Resolutionen von Musikern. Nur wenige z.B. Kabalewski machten nicht mit.

1934-39 war die Zeit von Stalins grossem Terror, wo die Leute zu Millionen wahllos abgeholt, verurteilt und ermordet wurden (z.B. die Dichter Ossip Mandelstam, Isaak Babel, der bedeutende Regisseur Wsewolod Meyerhold, um nur wenige zu nennen ).

 

Schostakovitsch war auch durch die Tatsache gefährdet, dass er Kontakte und Familie im Ausland hatte. In Leningrad herrschte die Überzeugung, dass er sich einer Verhaftung nicht entziehen könne. An einem Samstag 1937 wurde er von der Geheimpolizei stundenlang verhört: Man versuchte, ihn zum Geständnis zu bringen, dass er einer Terroristengruppe angehöre, die Stalin umbringen wolle. Für den nächsten Montag wurde er wieder vorgeladen mit der Drohung, dass er verhaftet werde, wenn er keine Namen von Mitverschwörern preisgebe. Dazu kam es nicht mehr, weil der Verhöroffizier inzwischen bereits erschossen war. Da die Geheimpolizei die Opfer nachts abholte, legte sich Schostakowitch danach monatelang immer in voller Kleidung schlafen und hatte einen Koffer bereit. Er lag und wartete und lauschte im Dunkeln. Seit dieser Zeit litt er lebenslänglich immer wieder unter Angstzuständen und Depressionen. 1936 wurde die Aufführung seiner 4. Symphonie unterbunden. Die 5. Symphonie komponierte er absichtlich einfach und leicht verständlich. So wurde die Aufführung von 1937 zu einem Erfolg für den noch nicht rehabilitierten Komponisten. Insgesamt wurde Schostakowitch 1936-40 kaum aufgeführt und er kam kaum zu ernsthaftem Komponieren, weil er Filmmusik schreiben musste. 

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Wenn man sich diese Situation vergegenwärtigt könnte die Verwendung der traditionellen Formen im Klavierquintett eine Aussage zuhanden des Regimes sein:  "Seht her, ich beherrsche alle Formen der traditionellen klassischen Musik, hier gibt es keine Avantgarde, nichts zu kritisieren, nichts zu verbieten". Wie dem auch sei, das Stück war ein Riesenerfolg. Kurz vor dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion 1941 erhielt Schostakowitsch dafür den Stalinpreis. Damit war er offiziell rehabilitiert. Die 100'000 Rubel verschenkte er vollumfänglich an arme Verwandte und Bekannte. In der Entstalinisierung wurde der Stalinpreis umbenannt und er musste die Goldmedaille zurückgeben im Austausch für eine nur vergoldete...

 

Es gibt zahlreiche Aufnahmen, aber die beklemmende Entstehungszeit des Stückes ist am besten spürbar in einer Live-Aufnahme des Borodin-Quartetts mit Sviatoslav Richter im Moskauer Konservatorium 1983, also noch in der  Breschnev-Aera. Lange vergriffen, ist sie zum Glück wieder erhältlich zusammen mit der unerreichten Gesamtaufnahme aller Streichquartette unter dem Label  BMG/Melodiya, Katalognummer: #40711.
 

Literatur: Krzysztof Meyer, Schostakowitsch, Gustav Lübbe Verlag, 1995

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